Mit Kerosin aus Abfall abheben
Müll und Abfall gibt es weltweit in großen Mengen, sei es in Form des alltäglichen Hausmülls oder aber als Überreste oder Nebenprodukte, die bei der Produktion von Gütern anfallen und keine weitere Verwendung haben. Die meisten Abfälle enthalten fossile Kohlenwasserstoffe, wie zum Beispiel Plastikmüll. Nutzt man diese als Basis für die Kerosinherstellung, so geht es hier im Gegensatz zu den Pflanzen, die CO2-neutral verbrennen um eine Mehrfachnutzung der fossilen Kohlenwasserstoffe.
Entsprechend gibt es Versuche, aus Stoffen wie Hausmüll und Abgasen neue Energie zu gewinnen. Mit alternativen Kraftstoffen aus dem kommunalen Abfall können beispielsweise bis zu 80 Prozent Kohlendioxid eingespart werden, wie das Unternehmen Fulcrum BioEnergy in den USA zeigt. In Deutschland und den USA gehen Industrie und Forschung auch noch einen anderen Weg: Sie erzeugen alternative Kraftstoffe aus den Abgasen von Stahlwerken – mit Hilfe von Bakterien. Auch in der Landwirtschaft entstehen Abfälle, die sich als Biomasse zur Produktion alternativer Flugkraftstoffe nutzen lassen.
Energiequelle Hausmüll
Die Entsorgung von Hausmüll gehört zu den großen Herausforderungen unserer Gesellschaft – genau wie die Versorgung mit Energie. Das Unternehmen Fulcrum BioEnergy ist Pionier bei der Umwandlung von Müll zu Kraftstoff, der zum Antrieb von Flugzeugen gedacht und in den USA bereits im Einsatz ist.
Unsortierter Hausmüll ist gut zur Umwandlung in Treibstoff geeignet, weil er zu einem großen Teil aus organischen Verbindungen besteht – genau wie Kerosin. Dazu muss er im Gegensatz zu Pflanzen nicht erst wachsen, sondern liegt in großen Mengen vor und tritt nicht in Konkurrenz zur Produktion von Lebensmitteln. Zur Umwandlung des Hausmülls in Flugkraftstoff nutzt das US-amerikanische Unternehmen ein thermochemisches Verfahren. Am Anfang steht die Umwandlung des Hausmülls durch Erhitzen unter Luftabschluss in ein Gasgemisch, das aus Kohlenmonoxid, Kohlendioxid und Wasserstoff besteht. Danach wird dieses Synthesegas mit Hilfe des Fischer-Tropsch-Verfahrens zu Vorläuferprodukten von Kerosin. Mit dem gewonnenen alternativen Flugkraftstoff lassen sich im Vergleich zu einem Produkt aus Rohöl mehr als 80 Prozent Kohlendioxid einsparen.
Im Juni 2015 kündigte die Fluggesellschaft United Airlines eine Beteiligung von 30 Millionen US-Dollar an Fulcrum BioEnergy an. Bis zu fünf Biotreibstoff-Raffinerien sollen in den USA entstehen, die pro Jahr bis zu 680 Millionen Liter alternativen Kraftstoff produzieren. United hat dabei die Möglichkeit, in den ersten 10 Jahren jährlich mindestens 340 Millionen Liter Kraftstoff zu mit herkömmlichem Kerosin wettbewerbsfähigen Preisen zu kaufen. Im Jahr 2021 wurde die erste kommerzielle Anlage von Fulcrum zur Produktion im großen Maßstab fertiggstellt, das Sierra BioFuels-Werk in Nevada. In dieser Anlage werden jährlich über 41 Millionen Liter Kraftstoff aus rund 175.000 Tonnen Hausmüll produziert. Eine zweite Anlage im US-Bundesstaat Indiana befindet sich derzeit im Bau, diese soll nach Fertigstellung die dreifache Produktionskapazität des Sierra BioFuels-Werkes haben.
United Airlines lässt sich am Flughafen in Los Angeles seit 2016 regelmäßig mit nachhaltigem Flugkraftstoff von World Energy (ehemals: AltAir Fuels) beliefern. Über einen Zeitraum von drei Jahren verpflichtete United Airlines sich, mehr als 57 Millionen Liter davon abnehmen. Diese Menge reicht für 12.500 Flüge von Los Angeles nach San Francisco. Im Jahr 2019 wurde diese Vereinbarung verlängert und ausgeweitet. Getankt wird Kerosin mit einer Beimischung von 30 Prozent alternativem Flugkraftstoff. Dieser Kraftstoff senkt den Ausstoß von Kohlendioxid während des gesamten Lebenszyklus um 60 Prozent und ist zugleich zu einem wettbewerbsfähigen Preis zu beziehen. Basis für den nachhaltigen Flugkraftstoff ist Biomasse aus natürlichen Ölen, die nicht essbar sind und aus Landwirtschaftsabfällen hergestellt werden. Da der alternative Kraftstoff von World Energy wichtige Nachhaltigkeitskriterien erfüllt, erhielt er 2018 eine Zertifizierung des Roundtable on Sustainable Biomaterials (RSB).
Industrielle Abgase als Antrieb
Stahlwerke brauchen bei der Produktion viel Energie und stoßen sehr große Mengen an Kohlendioxid aus. Die Forschung beschäftigt sich damit, aus diesen Abgasen alternative Kraftstoffe zu produzieren.
Verschiedene Partner, zu denen die Fraunhofer Institute für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME in Aachen, für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT in Oberhausen sowie für Chemische Technologie ICT in Pfinztal gehören, setzen für die Umwandlung der Abgase in Kraftstoff Bakterien ein. Diese genetisch veränderten Kleinstlebewesen verwandeln die Abgase in einem Gärverfahren zu Alkohol und Aceton. Aus diesen beiden Zwischenprodukten kann später Kerosin gewonnen werden. Aktuell funktioniert das bereits als patentiertes Verfahren im Labormaßstab. Die Forscher gehen davon aus, dass nur das Kohlendioxid aus den Stahlwerken Duisburgs reichen würde, um den Kerosinverbrauch einer großen Airline abzudecken. Im Moment arbeitet man daran, die Prozesse genauer zu untersuchen, um in einem nächsten Schritt in größerem Volumen produzieren zu können. Ziel ist es auch, die gewonnenen alternativen Kraftstoffe für den Einsatz in der Praxis zertifizieren zu lassen. Bis dahin wird aber noch Zeit vergehen.
Auch in den USA setzt man auf diese Methode: Das Unternehmen LanzaTech setzt Bakterien ein, um aus Stahlwerksabgasen alternative Flugkraftstoffe zu produzieren. Das Unternehmen geht davon aus, dass diese Technologie bei 65 Prozent aller Stahlwerke weltweit eingesetzt werden kann. Das von LanzaTech produzierte Ethanol kann von der Quelle bis zum Tank die Treibhausgasemissionen um bis zu 70 Prozent reduzieren. Global könnten die CO2-Emissoinen um bis zu 150 Millionen Tonnen reduziert werden, wenn Abgase aus der Stahlproduktion für die Ethanolproduktion wiederverwendet würden.
Alternatives Kerosin aus landwirtschaftlichen Rückständen
Abfälle fallen auch in der Landwirtschaft an. Dazu zählen zum Beispiel Ernterückstände wie Kraut oder Knollen. Das ist Biomasse, die ebenfalls als Rohstoff zur Produktion von alternativen Flugkraftstoffen dienen kann. In 2011 war Gulfstream, ein Hersteller von Business-Jets, der erste Flugzeug-Betreiber, der mit einem Gemisch von 50 Prozent fossilem und 50 Prozent alternativem Kraftstoff der Firma Honeywell aus den USA über den Atlantik nach Europa flog. Im Jahr 2015 unterzeichnete Gulfstream einen dreijährigen Vertrag mit dem Energiezulieferer World Fuel Services über die Lieferung von weit mehr als einer Million Litern alternativem Flugkraftstoff, der aus landwirtschaftlichen Abfällen produziert wird und so die CO2-Emissionen, basierend auf den Lebenszyklus-Emissionen, um 50 Prozent reduzieren kann. Dabei ist das Mischungsverhältnis 30 Prozent alternativer Kraftstoff und 70 Prozent herkömmliches Kerosin. Der Vertrag zwischen Gulfstream und World Fuel Services wurde seither mehrfach verlängert, zuletzt bis ins Jahr 2025. Das Kerosin hält auch den RSB-Standard ein.
Verfügbarkeit von Abfall und Reststoffen
Viele Abfall- und Reststoffe sind für die Herstellung von alternativen Kraftstoffen geeignet. Dazu zählen zum Beispiel Reststoffe aus Biomasse wie holz- und forstwirtschaftliche Reststoffe, Nebenprodukte der Landwirtschaft, aber auch Siedlungsabfälle und industrielle Reststoffe. Doch eine wichtige Frage für die Herstellung von alternativen Kraftstoffen aus diesen Ressourcen ist, wie hoch die Verfügbarkeit ist, denn in Deutschland werden viele dieser Stoffe bereits auf anderem Wege verwertet.
In Deutschland ergibt sich insgesamt ein theoretisches Biomasse-Reststoffpotenzial von 151,1 Mio. t TS (Trockensubstanz). Dieses Potenzial teilt sich wie folgt auf:
- 43 Prozent sind holz- und forstwirtschaftliche Reststoffe
- 43 Prozent sind holz- und forstwirtschaftliche Reststoffe
- 30 Prozent entfallen auf Nebenprodukte aus der Landwirtschaft
- 12 Prozent bestehen aus Siedlungsabfällen
- 9 Prozent aus industriellen Reststoffen und
- 6 Prozent sind Reststoffe von sonstigen Flächen.
In der Abfall- und Reststoffwirtschaft gibt es jedoch bestimmte Restriktionen, so dass vom theoretischen Biomasse-Reststoffpotenzial ca. 43,1 Mio. t Trockensubstanz (TS) nicht genutzt werden können – also rund 29 Prozent. Das technische, also tatsächlich verfügbare Potenzial liegt bei rund 98 Mio. t TS, wobei sich davon wiederum bereits rund 70 Prozent in einer stofflichen oder energetischen Nutzung befinden. Somit bleiben rund 30 Mio. t TS übrig, die ungenutzt sind bzw. bei der eine Nutzung nicht bekannt ist. Dieser Anteil verteilt sich zu fast gleichen Teilen auf Waldrestholz, tierische Exkremente und Getreidestroh. Für Siedlungsabfälle und industrielle Reststoffe gibt es in Deutschland so gut wie gar kein Potenzial, denn strenge Entsorgungs- und Verwertungspflichten lassen hierzulande so gut wie keine Mengen übrig. Abfall- und Reststoffe haben in Deutschland für die Produktion von alternativen Flugkraftstoffen somit ein begrenztes Mengenpotenzial, da sie in großen Teilen in anderen Bereichen bereits verwertet und genutzt werden.
Ein wichtiger Aspekt, der bei der Verfügbarkeit von Abfall und Reststoffen in Deutschland hinzu kommt ist, dass für die meisten Rohstoffarten, die für alternative Flugkraftstoffe in Frage kommen, bereits etablierte Netzwerke der Rohstoffproduktion bzw. -bereitstellung in der Land- und Forstwirtschaft sowie der Abfallwirtschaft, vorhanden sind. Diese müssten sich erst auf die neuen Abnehmerstrukturen einstellen oder selbst Betreiber von Anlagen werden.
Es lassen sich also drei Faktoren festhalten, die die Nutzung von Abfällen und Reststoffen, zumindest in Deutschland, einschränken:
- Abfall- und Reststoffe sind grundsätzlich nur begrenzt verfügbar, da sie nicht ein konkretes Produktionsziel in einem Prozess sind, sondern nebenbei anfallen.
- Abfall- und Reststoffe sind grundsätzlich nur begrenzt verfügbar, da sie nicht ein konkretes Produktionsziel in einem Prozess sind, sondern nebenbei anfallen.
- Viele der verfügbaren Reststoffe werden bereits genutzt, sodass Verdrängungs- und Konkurrenzmechanismen beachtet werden müssen.
- Reststoffe, die in der Forst- und Landwirtschaft anfallen und noch nicht wirtschaftlich genutzt werden, müssen unter einem ökologischen Aspekt betrachtet werden: Die Humusbilanz, aber auch die Biodiversität und der Nährstoffkreislauf im Wald dürfen nicht eingeschränkt werden.